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Ein Blick erwacht erst für etwas, wenn er jenseits dessen liegt, was man schon einmal erfahren, erlebt hat. Und dass es etwas in uns tut, eine Art Magie, hingezogen zu sein, eingestellt in das Wesen eines Ortes, als auch in den Grund der Natur. Auf halber Strecke immer mal wieder Sandwindhosen. Die Natur zeigt sich hier in allen Ocker- und Brauntönen. Berge scharfkantig oder wie hin gekleckert. Trocken. Der Busch flimmert davor in verblassendem Olivgrün. Alle Flußdurchfahrten sind steil und sandig und schon so manches Farmtor ist ausgehangen, das Land verlassen. Ein stockendes Knirschen entläßt die Schwere des Ford Ranger. Er steht, drückt den Schotter der Straße in eine breite Spur. Man öffnet die Wagentür – Stille. Die eigene weißgraue Staubfahne zieht vorbei, in die hügelige Ebene, erlöst sich im Licht des herabfallenden Blaus vor den Kluften der rauen Berge. Man hört die Melodie des eigenen Atems. Im langsamen Schreiten schwillt die Hitze im Gesicht. Hell weiß zittert das hohe Gras vor dem steinigen Sand. Die große Weite der Savanne. Der Busch aber bleibt blickdicht, das wissen auch die Tiere. Die ersten Zebras zeigen sich und drei schwarze Rabenvögel vertreiben einen Schakal. Der heiße Wind hat aufgefrischt und nimmt alle Gedanken mit, so daß man nur selbst übrig bleibt. Dann kommen die Springböcke und die schwarzen Baboos zum Wasserloch, sitzen in der Mittagshitze im Schatten der Bäume, während oben auf den roten Felsen einige Ausschau halten. Wer vermag es den Olifanten zu verdenken, da sie ihre alten Gründe aufsuchen, auch wenn sie durch breite Straßen zer-teilt sind? Der Himmel schiebt zwei Gewitter aufeinander und die Blitze schießen weißgelb zu Boden. Das Wasser wird auf die Erde gegossen – überschwemmt alles. Bis der Schlamm wieder harte Erdkruste wird und das satte Grün verbleicht, wird es wohl eine Weile dauern.

Zum Strand. Vom Parkplatz den hölzernen Laufsteg entlang, an den beschatteten Mietliegen vorbei, um dann in diesen so unwiderstehlichen Kosmos zwischen Land und Meer, See und Sand einzutauchen. Durcharrangierter Sehnsuchtsort der postindustriellen Zeit. Die Tiede geht hoch mit ablandigem Wind. Mächtige Dünung bei Ebbe. Es wird ein Plätzchen gesucht; zwischen den Badetuchausgestreckten, den Sonnenschirmsitzenden oder den Textilfreien am hinteren Rand der Dünen. Beständiges Rauschen der kleinen Wellen. Die Füße im Sand unter dem behausten Sonnenschirm, vermutlich um die Veränderlichkeit im Bleibenden ganz körperlich aufzunehmen. Motorboote mit Touristen ziehen weiße Streifen durch das Wasser. Ein Sportflugzeug mit den Fallschirmspringern zieht eine Kurve durch das tiefe Blau. Es gibt einige Strandläufer, welche immer noch die optimale Position für das Selfie suchen. Man muß zunächst das langsame Gehen lernen. Am Muschelsaum entlang mit einem Fuß in der auslaufenden Brandung, den anderen zuweilen auf dem halbtrockenen Sand. Meist beredt oder auch nur den vorauseilenden Hunden nach, vorbei an den auf die große Welle wartenden Surfern, die mit dem Smartphone bewaffneten Dokumentaristen, den körpergestählten Läufern und denen mit den großen Wanderschuhen. Ab und an verbleiben einige Ausdauernde in den Wellen. Stehend, darauf wartend bis sie tiefer einsinken, oder von der nächsten hohen Welle von den Füßen geholt werden. Das Ritual ist klar. Schreiten auf der schönen Mitte. Ab dann gibt es den individuellen Umkehrpunkt des „boardwalks“, ob in geselliger Konversation oder stillem Dialog. Mit der Sonne im Rücken kann es nicht den selben Weg auf umspültem Grund geben. Ob hier trotzdem Stufen der Erkenntnisse ausgewiesen werden, bedarf keiner weiteren Erläuterung. Aus dem Rauschen der Brandung und den Sand verwehenden salzigen Winden auf den Dünen, vermeint man alte Nähe zu spüren. Am Horizont zwei stille Segel. Der Schatten meines Sonnenschirms wandert nach Osten. Mein Lieb schließt ihr Buch:“Geh`n wir nochmal ins Wasser?“

Wozu Dichter in dürftiger Zeit? Wenn es vorne und hinten nicht reicht und die, die es dicke haben nicht sich selbst, aber den anderen das Wort sprechen, fehlt Ihnen das knackfrische, das poetische Brot. Aber die Großen, Unanfassbaren, Weitreichenden sind gegangen. Sie sind fort. Ganz schön dunkel. Wie schwarze Milch und Asche der Schönredner und Gutmenschen, daß sie Distanz erkennen, die zwischen ihnen und dem Anderen. Wozu lesen in der blutigen Spur? Soll das weißlose Rauschen der magnetischen Tonaufzeichnung gesungen werden? Wem sonst als dir. In seiner bloßen Eigentümlichkeit sprechen sie dir zeitvollen Türen, vom Offene ergießt, mit intimen Gängen, betreten. Wer sonst soll sehen und das Geschaute zu zeigen, im Material, im Ton, im Licht. Lang wird die Nacht der fehlenden Ohren und der schweren See, wenn es vorne und hinten schon lange nicht mehr reicht und die, die es dicke haben, rufen, wobei ihnen das Geldstück fehlt, um sich einen Flachmann zu kaufen, da ihnen der Heimweg abhanden gekommen ist.

Noli me tangere. Ich bin es und ich bin es nicht. Daß es still ist, im Ohr. Die See hat den Strand vom Vortag umgeräumt. Sand und Steine liegen in der linken Ecke aufgetürmt. Stromdrähte an der Straße halten den Ton an ob der Fremdheit und ihrer eigenen, steigenden Spannung. Lautlos grau raschelt der Schatten auf dem schwarzen Asphalt. Langtragender Fluß. Staub in weißen Mittellinien. Voran die hellen Flecken abgefahrener Ecken kleiner schwarzer Brücken.Mit sehr dürftigen Geplätscher das Land hinauf – ein Wort — eine Postkarte. Also ein tieferes Suchen, daß uns mitnimmt.

Der Taxistand ist heilig. Was sorgt, ist der Wandel selbst. Vom Fluß drückt der Nebel den dichten Regen über die Hafenkante. Die Straßenbeleuchtung verweht vor den Kneipen, die ihre Türen zuhalten. An der Theke hockt immer noch Altona und heult. Gräber weiß alles über Altona. Er arbeitet als Sänger in einer Piepshow und ist der schärfste Kumpel von Wegwerf, der bei den Werbern mit den Mädels rummacht und nach Komodenlack stinkt. Er dichtet auch Parolen für die nächste Demo und verkauft sie anschließend an die Anwohnerini. „Davon geht die Welt schon unter!“ brüllen Soso und Achwas, die beiden Stadtschauspieler, die sofort nach dem Reinkommen die Musibox tillen und die Tangoplatte zwanzig mal drücken. Sie haben Kashmirbusen im Schlepptau und machen mächtig einen her. Wegwerf mischt sich unter die Kashmirbusen und erzählt jeder, daß alles Scheiße ist und man endlich an die Macht kommen muß. „ Keine Macht für Irfan“ skandieren die Mummmützen vom schwarzen Block und machen die Laden voll. Altona weiß nicht wer Irfan ist und heult um so lauter und Gräber kann das Wort Ungerechtigkeit nicht mehr hören. Absulthorst, der Zivilbulle mit dem brustfreien Hemd und immer in Flanell, der sonst auch fürn `nen Heiermann Kinder paßt, schreibt mit dem Edding überall auf die Tische „ Ich weiß nix“ und grunzt auf so unverholene Weise, daß das Blaue vom Himmel kommt. „Wirklichkeit ist keine Meterware“ intonieren Soso und Achwas mit Schifferklavier, daß die Bande der Kashmirbusen ganz hin und weg ist und Altona dazwischen brüllt: „ Wer hat uns verraten?“ „ Arschkram“ ruft der ganze Saal und setzt den Girlsday mit unverminderter Härte fort. Von den Anderen, die jetzt noch reinkommen kann man nichts mehr entnehmen, außer das alles so ist wie es ist. Vor der Tür steht immer noch das nasse Grau und der Taxistand ist heilig.

Neues nicht, Fremdes, ganz natürlich Altes. Im Frühjahr sind es die Boote, die reden vor dem Sand. Dem alten Capitano singt ein Lied vom Nahe sein der Fremden vor dem eigenen Tod. Das Wie ist anders. Mitdasein, Mitsein, die Ichheit drangeben. Noch nicht und nicht mehr. Bin ich gemeint ? Und das muß alles anders werden. Rutschend zeigen sich Sedimentschichten geöffneter Bilder von abgerissenen Denkhängen weißgleitender Zeit. Gerührt und berührt werden im Zyklus ozeanischer Gefühle. Zurück mit den Händen und Füßen im Fluß des nördlichen Grüns rinnt ein Vergessen und Erwarten an den Orten im Lande der Frauen. Wo dann das Später in dem magnetischen Morgen fällt, wird man dann doch bemerkt und merkt selbst.

Vorsatz und Täuschung belagern jede Sicht. Gerade noch geraucht und schon schwindelig. Vorbei an Coco-Cola und Carib Brew bleibt diese Art der Befremdung unfertig. Die Vorläufigkeit, die sich da laut über den heißen, bleiernden Tag spannt; bis in die knisternde, dumpf entladenden Nacht ist Soca, um irgendwo auszusteigen. Aus dem Dunkel singen Frösche über die metallhelle Steelmuzik dem alternden Schauspieler das Voodoo. Gefasst, britisch verblasst, ein paar Wolken vor der gestirnten Nacht. Besucher nach Eden, nicht mehr so genau gewußt, wer sie sind und wer sonst noch so kommt. Obwohl, wer ist der besuchende Gärtner und wer ist der gärtnender Besucher ?

Nähe, ganze Nähe ist einfach. Im Aus¬tritt des Korallenriffes werden die Wellen länger, die Dünung höher. Dann Stille, langsames Gleiten. Schwarz, und warmfeucht wölbt sich der tiefe Sternenraum wie ein Götterzelt über die Lande¬bahnen. Ich hatte die weisse Blüte hinter das linke Ohr gesteckt und die Hunde bellen die Nacht hindurch, Antworten auf die Hahnenschreie, bedacht die schwarze Nacht nicht unbeseelt zulassen. Ich in der Welt und die Welt in mir. Zunächst muß man das langsame Gehen lernen.

Diese Stadt ist eben weiblich und braucht kein Frauenbild. Frische Blumen auf dem Mittelpunkt der Erde und frisches Grün auf dem Palatino. Der Fluss mit seinem milchigen Gesicht umfasst die Pfeiler der Brücken, als müsse er sich beeilen auf dem Weg zum Meer. Das Befremdliche wirkt nicht ausgrenzend, das mag wohl aus ihr selbst kommen. Was ansich ist, ist befreit vom Nutzen und Gebrauch, für einen zeitlosen Moment, dem Innehalten der Gestimmheit und der vollen Form des Gefühls. Begeistert vom Gleichmut des bestehenden Nebeneinanders, den Zeichen von Destruktion und der Zustand der einfachen, praktischen Täglichkeit. Was wirklich römisch ist, erschließt sich einem Fremden nie, da glaube ich Fellini.

Dein Blick fällt somit langsam immer wieder nach unten, wo die Füße naß und sandig bleiben. „Arret devan ! „but we are almost wet“ wird einem gelächelt. Der alte englische Kleinbus röhrt im Schrittempo. Das Blätterdach schließt sich, verdunkelt den Wald. Gemüter hängen auf den Veranden zum Trocknen. Tonlos. Wuchtig schlägt der Regen durch die Palmen. Trommelt auf die Wellblechdächer, stürzt über den rostigen Rand und legt sich in die großen warmen Pfützen der Sandpisten. Der Boden, bebildert in Schichten, bedeckt sich mit dem Vergangenen. Das Verschwindende setzt sich in dem Werdenden als Dunkel nieder. Es mußte zunächst in seiner Schwere geschaut sein. Somit hat die Helligkeit der Hoffnung immer ein dickes Ende.

Dazugehören nicht. Geduldet. Manchmal gebraucht, jedoch nicht verläßlich. Mein Vater vertrat Diese im Gemeinderat. Mußte mit denen saufen und wurde dann mit der Schubkarre nachts bei meiner Mutter abgeladen. Er vermittelte mir und meinem Bruder, daß man es hinnehmen müßte: „Gottes Mühlen mahlen langsam, aber hart“ Katholisch fürs Jenseits. Morgen aber erstmal eine Schule und ein Schwimmbad für die Kinder bauen. Später eben. Davon habe ich` ne Menge abgekriegt. „Wer hat uns verraten?“ zischten die alten Männer am Sonntag beim Fußballspiel, wenn wir vorbeigingen. Deswegen ging mein Vater mit uns nie in das Vereinsheim. Wir tranken und aßen zu hause. Auch deswegen bin ich später in eine Band gegangen. Es war unser Bluesland und selbstverständlich gehörten wir dazu.

Im Frühjahr zeigt das Meer noch eine seiner temperamentvollen Seiten. Vom Flugzeug ins Auto, der untergehenden Sonne folgend, erreichen wir die Bucht mit dem alten Hotel. Der kalte Wind bewegt die Vorhänge vor dem Balkon, selbst bei geschlossenen Türen, hoch oben im Zimmer. Das Meer rollt vor dem Strand in weitlaufender Dünung. Unten im Foyer wärmt das offene Feuer im Kamin. Man spricht über das Woher-Wohin, über die alten Tage und warum man das hier alles so ließ wie es war. Die See schiebt den Sand die Dünen hinauf, wo ein sinkendes Abendrot das Licht noch nicht wärmen kann. Von Lisboa nach Norden an der Küste entlang erheben sich die Mauern von Montemor-o-Velho im Land des Gharb al-Andaluz. Pastellbunt blättert die Farbe von den Wänden und Skulpturen, beredt der verblichenen Geschehnisse. Verlassene Orte fügen sich recht langsam wieder in die umgebende Welt ein. Am Fuß der Burg wässert der Rio Mondego beharrlich die Felder in seinem Tal und führt uns hinauf nach Coimbra. Kalter Regen in den Gassen der Universität. An den Fassaden und auf den heroischen Statuen der Gebäude läuft ein dunkles kalkgrau in merkwürdigen Spuren und gibt den Formen eine merkwürdige Anmutung. Am nächsten Morgen reisen wir ab. Nach Süden, dem Licht folgend, hebt die Heiterkeit der Landschaft des Alentejo das trübe Gemüt. Als die sanften Berge hügelig auslaufen, erscheinen Pinienhaine gesellig in den Ebenen. Zwischen kargen Tälern und grau-grünen Waldflächen durchlagern Schaf – und Rinderherden die Schatten jener Baumgruppen zu theatralen Motiven. Bei der Ankunft in der Algarve geht ein warmer Wind durch die Korkeichenwälder der Monchique, sein erhellender Raum durchstellt im Spiel von Licht und Dunkel das feine Grün in den Kronen. Eine heiße Badewanne, ein prasselnder Kamin und ein guter roter Tropfen stellen die Lebensgeister wieder her. In den nächsten Tagen schiebt der dicke Seenebel zwar die Küsten zu, aber mit dem aufkommenden Westwind werden die Verhältnisse von weitem Blau und tiefen Sternenraum wieder hergestellt. Die Düfte des Frühlings fließen über die Terrassen in die Stille der Wälder bis hinunter zum Fluß, der hinter der Bucht von Alvor dem Plaudern der Wellen lauscht. Und dann kommt sie, mit dem aquamarinblauen Kleid des Frühlings und im vollen Glanz des hellen Lichtes. Die neue Jahreszeit.